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Er bereitete »verlorene Eier«, stopfte Mandeln in die Pflücklöcher von Erdbeeren und servierte - ein dreifach Hula-Hula - »Toast Hawaii«. Mit Ananas aus der Dose, einer Käse-Scheiblette und einer finalen Cocktailkirsche, abgelegt in eine goldgelbe Moräne des zerflossenen Belags.
Clemens Wilmenrod (1906 bis 1967) war der erste deutsche Fernsehkoch, ein freundlicher Lemur aus der TV-Steinzeit mit tragischem Ende, ein Prahlhans Küchenmeister, der nicht wegen seiner Gerichte des Gedenkens wert ist, sondern weil er mit Quasselwasser kochte, das Dampfplaudern zur Fernsehtugend erhob und so vor allem die Frauengemüter benebelte. Ein frühes, modernes TV-Genie also.
Welch eine Rolle für einen wie den Schauspieler Jan Josef Liefers. Als Münsterscher »Tatort«-Pathologe Professor Börne beweist der Schauspieler aus dem Osten furios, dass Sägen und Sagen einander ergänzen. Sein drehbuchgewollt maulfauler Fischkopp-Kollege (Axel Prahl) darf meist nur noch stöhnen, wenn der Leichenprofessor zum Schwadronement ausholt.
Doch an diesem Drehtag auf dem Studiogelände im nordheidischen Bendestorf vor den Toren Hamburgs sieht man einen etwas anderen Liefers. Für das TV-Movie »Wilmenrod - Es liegt mir auf der Zunge« trägt der Darsteller authentizitätsverpflichtet Schnurrbart, die berühmte Schürze mit dem Karikatur-Selbstporträt und spricht überlieferte Wilmenrod-Sätze in ihrer unentwirrbaren Mischung aus Sprachstuck und Edelstuss: »Der Rumtopf verbreitet etwas von Wärme und Treue im Hause. Wenn man mal gelegentlich in den Keller kommt, um irgendetwas höchst Profanes zu erledigen, so steht er in der Ecke, der bunte irdene Topf, als ein lieber Freund ... Wie könnte man das dunkle Gelass verschließen, ohne ihn, den Guten, Stillen in der Ecke, begrüßt zu haben.«
Ein weniger feinsinniger Schauspieler als Liefers könnte hier seine Figur in den Rumtopf tauchen und sie als Verbal-Alki bloßstellen. Doch der Darsteller hütet sich, den ersten Fernsehkoch lächerlich zu machen und mit ihm die ganze Epoche der fünfziger und frühen sechziger Jahre.
Dieser Film (Buch: Lothar Kurzawa, Regie: Kaspar Heidelbach) passt zu einem neuen Interesse an den Nachkriegs- und Wirtschaftswunderjahren. Gewiss, lautet heute die Einschätzung, äußerlich war vieles lächerlich an dieser Es-geht-aufwärts-Epoche, die tutige Mode, der Hang zum Putzig-Verschrobenen, der verdrängerische Umgang mit den dunklen Aspekten des Lebens, von der Nazi-Zeit bis zur Sexualität.
Aber Verfilmungen wie »Teufelsbraten« nach einem Roman von Ulla Hahn, die Geschichte einer weiblichen Selbstbefreiung im proletarischen Milieu des Rheinlands, künden vom Ende des nachgeborenen Hochmuts. Es waren spannende, höchst individuelle Lebensgeschichten, die sich in jener Zeit eines beispiellosen Modernisierungsschubs abspielten.
Der redselige Möchtegern-Koch Wilmenrod erinnert den Schauspieler Liefers an einen wie den Schriftsteller Karl May, der das Blaue in das Grau des deutschen Alltags vom Himmel herunterplauderte. Geschichten vom »Arabischen Reiterfleisch«, im Grunde eine bessere Bulette, vom »Ha-
senpfeffer à la Urban«, vom »Salat à la Du-
rieux« (Zwiebel, Essig, Zitrone, Roquefort, Grünzeug - die namensgebende Diva Tilla Durieux hat's hoffentlich nie erfahren) -, der Müllerssohn aus dem Westerwald hatte das Wichtigste am Kochen begriffen: das Reden über das Kochen.
Mit von heute aus unfassbarer Schnelligkeit hatte Wilmenrod 1953 den damaligen Hamburger Intendanten Werner Pleister von dem Plan überzeugt, im TV nicht nur Varieté oder ernste Stücke zu zeigen, sondern einen Koch. Er, der kleine Schauspieler, wollte dieser Koch werden. Auf eine solche Idee war vor dem Krieg nur die BBC bei TV-Versuchsausstrahlungen gekommen.
Ohne langes Bebrüten in Kommissionen wurde Wilmenrods Plan, hinter dem seine geschäftstüchtige Ehefrau stand, ins Programm genommen. Ein Meilenstein - das Fernsehen begann seine Konsumenten zu entdecken, ein Prozess, der bis heute andauert.
Wo Erfolg ist, wohnt in Deutschland die Missgunst. Wilmenrod tappte in die Fußangeln der Schleichwerbung. Der »Kochspieler«, wie ihn der SPIEGEL 1959 in einer Titelgeschichte taufte, bekam Honorare, wenn er Produkte von Firmen anpries. Wilmenrod verlor seine Unschuld als Pionier. Seine theatralischen Sprachgarnierungen, seine Begrüßungsfloskeln ("Ihr lieben goldigen Menschen") konnten nicht mehr verdecken, dass er einen Truthahn schlicht zersäbelte, statt ihn fachgerecht zu tranchieren. Der Charme kam in die Jahre.
Nach Scheidung und Popularitätseinbußen erschoss sich Wilmenrod mit 60 Jahren im Krankenhaus, weil er glaubte, unheilbar krank zu sein. Der SPIEGEL rief ihm ein Selbstzitat nach - auf der Höhe seiner Fabulierlust hatte er geäußert: »Ich habe nur mal gesagt, man müsste sich auf einer Burg am Rhein langsam volllaufen lassen und in die andere Welt hinüberdämmern.«
Daraus wurde nichts. Er blieb den Zuschauern trotzdem in guter Erinnerung, und Liefers ist stolz, »als Schauspieler zeigen zu können, was Schauspieler so alles können«. Liefers: »Früher dachte man in Deutschland, holt die Wäsche rein, die Schauspieler kommen. Dann ließ man einen von ihnen sogar an die Kochtöpfe.« So ist der Fortschritt im Medienzeitalter. NIKOLAUS VON FESTENBERG
* Oben: Clemens Wilmenrod in »Bitte in zehn Minuten zu Tisch«(um 1960); unten: mit Gustav Peter Wöhler und Anna Loos.